Sachstand zur Barrierefreiheit

Formsignal Fahrt! Es ist schwierig, Fortschritte festzustellen, wenn man den Stand der Dinge - die Ausgangslage - nicht kennt oder nicht einordnen kann. Bei Planung geht es um eine Ausgangssituation, Vorstellungen vom Ziel und den Weg dorthin und dann solche Details wie die erforderlichen Schritte, Reihenfolgen und verfügbare Ressourcen. Das ist bei Barrierefreiheit nicht anderes, als auf ganz anderen Gebieten.

Leider gibt es beim Thema „Barrierefreiheit im Öffentlichen Verkehr“ recht unterschiedliche Auffassungen zu dem, wie es dabei derzeit aussieht, was eigentlich erreicht werden soll, die Schritte und die Vorgehensweisen und erst recht die Ressourcen. Wie also ist der Fortschritt zu bewerten, wenn der Maßstab auch nicht klar ist? Gegenüber den Menschen mit Behinderungen und eingeschränkter Mobilität wird mit rechtlichen und technischen Regelungen argumentiert und darauf abgestellt, in wie vielen Einzelfällen in der Summe bedeutende Finanzmittel aufgewendet würden, um... Na ja, eigentlich gehen bei allen genannten Punkten die Ansichten auseinander.

Ein halbwegs ähnliches, gemeinsames Verständnis von dem, was erforderlich ist, wäre wünschenswert. Zumindest, wenn die Notwendigkeit von Verbesserungen nicht ohnehin bezweifelt wird. Doch selbst das gemeinsame Verständnis zur Problemstellung besteht nicht. Solange rechtliche Normen akzeptiert werden, lohnt der Blick darauf.

Mit Partizipation kann erreicht werden, daß Sichtweisen jeweils verständlicher werden. In einer inklusiveren Gesellschaft wäre das schon deutlich weiter.

Rechtliche Normen - Grundgesetz

Man sollte bei rechtlichen Themen nicht immer mit den höchsten Normen argumentieren, doch in diesem Fall bietet sich nur das an. Das wirkt zwar für die Arbeit an der Basis zu abgehoben, denn da wollen manche Menschen nur gesagt bekommen, daß eine Rampe auch steiler und schmaler sein darf und eine Toilette für Menschen mit Behinderung nicht erforderlich sei, weil im speziellen Fall eben niemand zuständig wäre. Ansonsten hätte man aber nichts dagegen, wenn es besser würde. Und hinter vorgehaltener Hand erfährt man von den Schwierigkeiten der Nicht-Behinderten, als die sich ein Bein gebrochen hatten, mit einem Kinderwagen unterwegs waren oder die alt gewordenen Eltern im Rollstuhl zum Arzt schieben mußten. Oft mit dem Hinweis, wie froh sie waren, daß das eben kein Dauerzustand war. Wenig tröstlich für die, deren Behinderung und Mobilitätseinschränkung ein Dauerzustand ist.

Vor Jahrzehnten, genauer im Jahr 1994, ist in das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (GG) eine Ergänzung aufgenommen worden, die aus der Sicht des Gesetzgebers zuvor offenbar nicht für erforderlich gehalten wurde. Woran das lag, kann man bei Interesse nachlesen, doch wer außerhalb der Welt der Behinderten schaut in ein Buch wie „Behindertenrechte in die Verfassung!“?

Buch: Behindertenrechte in die Verfassung!

Seit 1994 steht in Artikel 3 Absatz 3 Satz 2 „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“. Juristisch war kurz darauf schon interessant, wie es denn um die Bevorzugungen mit dem Ziel einer Angleichung der Verhältnisse von Nichtbehinderten und Behinderten stünde. Schließlich wäre das ein Unterschied zur Formulierung in Satz 1. Nun, „wer lesen kann, ist im Vorteil“ ist eine Redensart und man darf das gern praktizieren. Übrigens kann man in einer deutlich älteren Richtschnur zum Zusammenleben der Menschen schon Ausführungen zum Thema Neid nachlesen.

Immerhin ist die Sichtweise inzwischen die, daß es sowohl um direkte als auch auf mittelbare Benachteiligungen geht, unabhängig davon, ob sie intentional erfolgen. Intentional ist bestimmt nicht Leichte Sprache, doch davon sind juristische Texte oft weit entfernt. Warum eigentlich, angesichts dessen, was über Illiteralität nachzulesen ist? Im September 2025 gab es in der Tagesschau (zu hören): „Bis zu zehn Millionen Menschen in Deutschland haben massive Schwierigkeiten mit dem Lesen und Schreiben im Alltag“.

Praktisch gesehen gab es Jahrzehnte später eine Aktion unter der Bezeichnung Reisegruppe Niemand, bei der diese Niemands den Begriff aus dem Grundgesetz aufgriffen und aufzeigten, wie es um selbständig und ohne fremde Hilfe mit der Eisenbahn unterwegs sein tatsächlich bestellt war. Nämlich keineswegs im Sinne der Gesetze. Angesichts der beiden Wagenklassen bei der Eisenbahn gab es Buttons mir dem Aufdruck „Reisender dritte Klasse“.

Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“ Mit Blick auf andere Gesetze, frühere wie spätere, ist das bei der Auslegung nicht nur im Hinterkopf zu behalten, es sollte herangezogen werden.

Rechtliche Normen - BGG

Das mit dem „ohne fremde Hilfe“ stammt aus den Behindertengleichstellungsgesetzen. Davon gibt es gleich mehrere, eines für den Bund und dann noch die für die Bundesländer. Ich zitiere hier nur aus dem Gesetz zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen (dem BGG) und zwar dem § 4 Barrierefreiheit: „Barrierefrei sind bauliche und sonstige Anlagen, Verkehrsmittel, technische Gebrauchsgegenstände, Systeme der Informationsverarbeitung, akustische und visuelle Informationsquellen und Kommunikationseinrichtungen sowie andere gestaltete Lebensbereiche, wenn sie für Menschen mit Behinderungen in der allgemein üblichen Weise, ohne besondere Erschwernis und grundsätzlich ohne fremde Hilfe auffindbar, zugänglich und nutzbar sind. Hierbei ist die Nutzung behinderungsbedingt notwendiger Hilfsmittel zulässig“ .

Bezogen auf das Thema Öffentlicher Verkehr sind gleich mehrere Aspekte relevant, ganz im Vordergrund die baulichen Anlagen wie Haltestellen und Bahnhöfe und die Zugangsbauwerke zu den Verkehrsstationen, selbstverständlich die ausdrücklich im Gesetz genannten Verkehrsmittel wie Busse und Bahnen, jedoch auch technische Gebrauchsgegenstände wie Fahrkarten-Automaten und die Bereiche Information und Kommunikation von der Fahrplanauskunft zu barrierefreien nutzbaren Verbindungen über die Informationen zum Fahrtverlauf im Fahrzeug bis zu der Möglichkeit, im Notfall auf sich aufmerksam machen zu können. In der Tat scheint es nicht um Probleme zu gehen, die von der Sozialpolitik allein geschultert werden könnten. Hinsichtlich der Zuständigkeiten geht das letztlich die Mehrzahl wenn nicht gar alle beteiligten Stellen an. Trotzdem wird der ganze Themenkomplex von vielen so gesehen, als könnten Zuständigkeiten beim Sozialen Probleme lösen. Und bei Beauftragten. Und in den Fachstellen.

Wie auch immer, es steckt noch mehr im Gesetzestext: ohne besondere Erschwernis nehmen manche Menschen zum Anlaß, sich der Frage zuzuwenden, wo die Grenze zwischen einfacher und besonderer Erschwernis anzusetzen sei. Bezogen auf das jeweils Anstehende wird gerne davon ausgegangen, daß die Erschwernis eben nicht so besonders und damit vom Gesetzgeber gewollt sei. Man müsse also nichts machen. Solch ein Ergebnis steht manchmal fest, bevor die passende Frage entwickelt wurde.

Wer darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden?“ Wer Regelungen im zuvor genannten Sinne des GG auslegt, wird seltener Aufträge als Gutachter bekommen.

Bei grundsätzlich ohne fremde Hilfe wird darüber gebrütet, ob grundsätzlich ohne nicht doch in dem jeweils betrachten Sachverhalt hauptsächlich auf solche fremde Hilfe abstellen dürfe. Dann müsse man nämlich nichts an einem bewährten System von Abhängigkeiten und Hilfegewährung machen. Siehe zwei Absätze zuvor.

Dann wird darauf abgestellt, eine Hilfe sei nicht fremd, wenn sie von jemanden erbracht würde, der das im Rahmen seiner Tätigkeiten mit aufs Auge gedrückt bekommt. Manchmal ist das dann das Fahrpersonal, dem man nicht nur das Heben und Anlegen von gar nicht so mobilen weil schweren Faltrampen überträgt, sondern auch das Schieben und Bremsen von Rollstühlen auf grenzwertigen Neigungen darauf gleich mit dazu. Oder auch letzteres nicht, weil. Egal wieso, jedenfalls wäre das für einzelne / manche / viele Mitarbeiter nicht zuzumuten. Mehr könne man nicht machen. Für Behinderte nicht zu steil, weil das so geregelt sei und die Unterstützung durch Busfahrer als Schiebehelfer kommt nicht in Betracht, weil das zu gesundheitlichen Problem führen könnte?

Hier ein rascher Exkurs zum Schwerbehindertenausweis. Damit es auf den wohl doch nicht so gut nutzbaren Rampen als Einstiegshilfen doch eine Zuständigkeit gibt, wird gelegentlich auf das MerkzeichenB“ abgestellt. Das Merkzeichen „B“ berechtigt zur Mitnahme einer Begleitperson bei der Fahrt in öffentlichen Verkehrsmitteln. Es geht weder um eine Verpflichtung, nur mit einer Begleitperson unterwegs sein zu dürfen, noch um die Übertragung der Aufgabe als Schiebehelfer auf ansonsten zu steilen Rampen.

Notfalls wird das Gespräch zwecks Ablenkung auf ganz besonders schwere Fälle gebracht, bei denen es nicht vorstellbar wäre, daß die überhaupt ihr Zuhause (wie heimelig) verlassen. Könnten. Dürften. Wie auch immer. Da habe Assistenz eben Grenzen. Doch was bringt der Einwand bei diesem Thema? Ja, die Menschen sind unterschiedlich. Manche laufen die hundert Meter in zehn Sekunden. Andere brauchen länger oder treten in dieser Disziplin nicht an. Manche können lesen, jedoch nicht die Schwarzschrift. Und manchem Leser der Schwarzschrift fällt nicht gleich ein: „Der Begriff Schwarzschrift wird zur Bezeichnung einer Schrift für Sehende zur Unterscheidung von Blindenschrift verwendet“. Manchen kann man das beliebig oft sagen, sie hören es einfach nicht. Die hören auch die Ansage nicht, daß wegen einen Ausfalls eines Haltes gleich an der nächsten Haltestelle die letzte Möglichkeit besteht, zu einem bestimmten Fahrtziel umzusteigen. Wären wir weiter bei der Umsetzung des Zwei-Sinne-Prinzips, diese Menschen würden zum Teil über Display-Inhalte erreichbar sein. Hätte, hätte, Fahrradkette, das dafür notwendige Verständnis für die Barrierefreiheit fehlt an zu vielen Stellen. Sonst wären wir alle weiter.

Zu oft ist noch immer „Es geht nicht, weil“ eine unabänderliche Konstante, hinter der beliebig austauschbare Schein-Argumente angegeben werden.

Es geht aber noch weiter im Gesetzestext. Es steckt auffindbar, zugänglich und nutzbar drin.

Das mit der Auffindbarkeit mag manch Leser für klar halten, doch praktisch gibt es da reichlich Schwierigkeiten. Das sieht man doch? - Nein, das kann nicht jeder, das mit dem Sehen. Ortskundige wissen, wo etwas zu finden ist und wie man dahin gelangt. Die fallen nicht mal auf ein Hinweisschild rein, das in die falsche Richtung zeigt. Das ist bei Ortsunkundigen anders. Mobilitätseingeschränkte sind per Definition weniger mobil und da sind nutzlose Umwege etwas, das man sich gern ersparen würde. Auffindbarkeit betrifft viele Eigenschaften im Öffentlichen Verkehr. Der Taster für das Aktivieren der Vorlesefunktion am Display für die dynamische Fahrgastinformation an der Haltestelle ist so ein Beispiel.

Der Blinde erkennt das nicht unbedingt am auffällig gelben Taster, warum wohl? Auffindbar wird der Taster für die Sprachausgabe, wenn er über das taktile Bodenleitsystem oder ein akustisches Auffindesignal (ein monotones Tok---Tok---Tok) erkennbar wird. Fragen Sie sich auch, wieso da ein oder steht und ob das angesichts des Zwei-Sinne-Prinzips nicht richtiger und heißen müßte? Schön, das ist schon mal ein Anfang. Nicht jeder Blinde hat Ohren wie ein Luchs. Oder gehören Sie eher zu denen, die an die nächtliche Geräuschbelästigung durch das Tok---Tok---Tok der Blindenampel für die Anwohner denken und vorschlagen würden, diese Ampel nachts abzuschalten, weil Blinde nachts ohnehin nicht unterwegs wären, weil sie da nichts sehen? Weniger schön, aber Sie wären nicht der erste mit solchen Vorschlägen. Im Gespräch wird vielleicht jemand auf die Idee kommen, die Ausgabe-Lautstärke von der Umgebungs-Lautstärke abhängig zu machen. Nur wo kein Wille ist, ist auch kein Weg.

Die Rampe als Einstiegshilfe?

Bei Zugänglichkeit denken viele von sich aus an Rampen und vielleicht an Durchgangsbreiten für einen Menschen im Rollstuhl. Zwar wird als Piktogramm im Zusammenhang mit Barrierefreiheit ein Rollstuhl-Symbol verwendet, es geht aber nicht nur um Menschen im Rollstuhl. Vor vielen Jahren hatte ich mal einen Schriftwechsel mit der französischen SNCF (Société nationale des chemins de fer français). Es ging um eine Toilette in einem Zug mit einem Rollstuhl-Symbol an der Tür, bei der der Toilettenraum schon von den äußeren Abmessungen her zu klein war, um da mit einem Rollstuhl rein zu können. „Das hätte seine Ordnung“, stand in der Antwort. Diese Toilette sei für Menschen mit Behinderungen vorgesehen und entsprechend mit dem Symbol dafür, dem Rollstuhl-Symbol, gekennzeichnet. Wäre sie auch für Menschen im Rollstuhl vorgesehen, dort Utilisateur de fauteuil roulant oder kurz UFR genannt, wäre sie „entsprechend“ gekennzeichnet gewesen. In der Tat gab es in einer eher technischen Zeichnung zu diesem Triebzug Toiletten, die mit UFR eingetragen waren. Die wenigsten Rollstuhlfahrer konsultieren technische Unterlagen zu Triebzügen, um unterwegs für sich eine Toilette zu finden.

Man unterscheide zwischen Einrichtungen, die für Menschen mit Behinderungen bestimmt sind von solchen, die für Menschen mit Behinderungen geeignet sind. Das aber kommt erst weiter unten in dieser Abhandlung dran, wenn es um technische Normen und deren Unzulänglichkeiten - hoppla, man sagt Vorgaben dazu - geht. Ein auf das Gebiet von Regelungen um die Menschen mit Behinderungen bewanderter Jurist wird beim Stichwort Zugänglichkeit bei der Barrierefreiheit darauf abstellen, einerseits sei in den Behindertengleichstellungsgesetzen die Zugänglichkeit ein Teil der Barrierefreiheit (siehe oben), andererseits aus dem menschenrechtlichen Verständnis anderer Normen wäre die Zugänglichkeit selbst umfangreicher, als das, was man in Deutschland unter Barrierefreiheit anspricht.

Manch einem Mitmenschen raucht da schon der Kopf. Wieso die Benutzung eines Hublifts am Bahnhof für den Einstieg in einen ICE kein Fall von „behinderungsbedingt notwendiger Hilfsmittel“ ist, da kann er kaum noch folgen. Sind die Dinger nicht genau dafür da? Die eigene Brille und das eigene Hörgerät mag notwendig sein, um Anzeigen im Bus erkennen und Durchsagen hören zu können. Das müssen die technischen Mittel zur Fahrgastinformation nicht mit ausgleichen. Die Erklärung, wieso der genannte Satz dazu führt, daß das Mitführen des eigenen Rollstuhls oder anderer Hilfsmittel zur Barrierefreiheit mit dazu gehört, erspare ich mir hier. Manche krause Idee aus der Schweiz, die die Auswahl eines Hilfsmittels passend zu dem vorschlägt, was die unterschiedlichen Verkehrsunternehmen jeweils mitzunehmen bereit sind, braucht man hier nicht vorbringen. Getan wird das trotzdem, (zu) oft aus der Politik, aus welchen Motiven auch immer.

Bild der stark verkleinerten Seite des Referentenentwurfs

Übrigens wurde gegen Ende November 2025 der „Referentenentwurf des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales“ als „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Behindertengleichstellungsgesetzes“ mit Bearbeitungsstand 19. November 2025 bekannt. Schon bei der vorherigen Bundesregierung was der angekündigt worden, jedoch kam es immer wieder zu Verzögerungen seitens der - positiv umschrieben - unterschied­lichen politischen Interessen. Die Beteiligung der Verbände ist nun angelaufen. Losgelöst davon habe auch ich die 59 Seiten des Dokuments genauer angeschaut und natürlich mehrfach gelesen, besonders im Hinblick auf das Thema dieser Website. Man wird vermutlich auch freundliche Worte über den Inhalt finden können, solche Nettigkeiten werden ja bisweilen erwartet. Für die Teilbereiche, für die ich mich persönlich besonders einsetze, ist der Entwurf völlig unzureichend - wenn denn Verbesserungen für die auf Barrierefreiheit angewiesenen Menschen beabsichtigt wären. Auf Zeit spielen ist also noch nicht zu Ende, die Veröffentlichung eines solchen Entwurfs ist nur ein weiterer Schritt beim Versuch, Inklusion und Barrierefreiheit zu vermeiden und das nett zu kaschieren. Zumindest Teile der beabsichtigten Regelungen sind mit höherem Recht und Verträgen, die Deutschland als Ganzes eingegangen ist, absehbar nicht im Einklang.

Rechtliche Normen - UN-BRK

Noch so eine rechtliche Norm, die zwar immer wieder zitiert wird, inhaltlich in der öffentlichen Diskussion und bezüglich des konkreten Tuns aber kaum eine erkennbare Bedeutung hat, ist die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK). Zu lang zum Lesen, zu schwere Kost zum Verdauen? Oder einfach nur Ignorieren und Abwarten? Dieses internationale Vertragswerk steht im Zusammenhang mit anderen Vertragswerken der Vereinten Nationen und den darin enthaltenen Vorgaben zu Menschenrechten. In Deutschland werden die Regelungen in der UN-BRK im Rang eines einfachen Bundesgesetzes gesehen; sie sind bei Auslegung und Anwendung des deutschen Rechts einschließlich des Verfassungsrechts zu beachten, binden die Träger öffentlicher Gewalt auch im Sinne der Auslegungshilfe für Grundrechte.

Im Vertragswerk ist auch ein Mechanismus vorgesehen, nach dem die Umsetzung der Regelungen in den betreffenden Staaten regelmäßig geprüft wird. Das Vertragswerk unterschreiben war nur ein erster Schritt, es gilt auch, das Vereinbarte umzusetzen. Es ist von Staatenprüfung und im Ergebnis von den Abschließenden Bemerkungen zu lesen, in denen Mängel bei der Umsetzung benannt und Anregungen gegeben werden, mit welchen Maßnahmen ein vertragskonformerer Zustand erreicht werden könnte. Abschließend im Sinne von „schön, dann haben wird jetzt Ruhe“ sind diese Bemerkungen nicht an zu sehen. Auch „Glück gehabt, die haben etwas übersehen“ bringt nichts. Einerseits werden die Verhältnisse nur stichprobenartig geprüft und die Verpflichtungen aus der Konvention bestehen auch ohne eine solche geäußerte Besorgnis, andererseits gelten auch ältere Abschließende Bemerkungen fort und erledigen sich nicht mit einer neueren Ausgabe. Von wegen Aussitzen hat auch schon früher geholfen. Das Europäische Behindertenforum (EDF) macht immer wieder darauf aufmerksam, wie solche Abschließenden Bemerkungen in die Argumentation der Organisationen der Menschen mit Behinderungen eingebaut werden können. Könnten, denn das passiert viel zu selten.

An dieser Stelle will ich gleich erwähnen, daß auch die Europäische Union als Ganzes der Konvention beigetreten ist und ebenfalls und sogar erst kürzlich geprüft wurde. Anfang 2025 kam das Ergebnis heraus. Ja, dieses Ergebnis sind ebenfalls Abschließende Bemerkungen. Sie waren an die Europäische Kommission gerichtet und betreffen auch die Mitgliedsstaaten und damit auch Deutschland. Wird die sogleich in die Sprachen der Mitgliedstaaten der EU übersetzt? Hmm, wer fragt denn so? Könnte es sein, daß man damit vermeidet, noch mehr Menschen deutlich zu machen, was in Sachen Inklusion und Barrierefreiheit immer noch falsch läuft?

Ich habe schon an anderer Stelle auf dieser Website auf die „Abschließenden Bemerkungen zum kombinierten zweiten und dritten periodischen Bericht Deutschlands“ (der Staatenprüfung) aus dem Jahr 2023 abgestellt. Darin äußerte der „Ausschuß für die Rechte von Menschen mit Behinderungen“ der Vereinten Nationen eine ganze Reihe seiner Besorgnisse (rechtlicher Begriff), auch über „die weitgehend fehlende Barrierefreiheit im Öffentlichen Verkehr“. Dies ist nicht nur irgend eine Ansicht, sie stammt aus berufenem Mund durch die dafür maßgebliche Stelle.

Weitgehend fehlend und doch schon so viel erreicht, wenn man in die Pressemitteilungen landauf, landab schaut? Ja. Die Sichtweisen sind nicht deckungsgleich. Siehe ganz am Anfang dieses Textes. Durch noch so schön formulierte Pressemitteilungen erledigen sich die Verpflichtungen aus der UN-BRK nicht. Auf meiner Link-Seite sind auch Fundstellen für die Abschließenden Bemerkungen (Deutschland, 2023 und EU, 2025) enthalten.

Internationale Organisationen

Es geht mir hier nicht um einen Überblick über die Organisationen und deren Aktivitäten, sondern nur um ein ausgewähltes Beispiel. Es belegt, daß sich (auch) außerhalb Deutschlands viele Köpfe über den Zustand der Umsetzung der Barrierefreiheit (dort Accessibility genannt) Gedanken machen. Zur Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) gehört als Sonderorganisation das International Transport Forum (ITF). Bei beiden ist Deutschland beteiligt. Im Oktober 2025 hatte ich Glück, denn mein Themenvorschlag zu einer Anfrage des Veranstalters ITF für seine Veranstaltung „Roundtable - Delivering Accessibility that Works“ aus Paris über EDF kam nicht zum Zug (das hätte für mich angesichts einer sehr kurzen Vorlaufzeit einen immensen Aufwand nach sich gezogen; von wegen Barrierefreiheit bei der Reiseplanung berücksichtigen). Kein Thema anbieten wäre aber erst recht nicht im Interesse der Organisationen der Menschen mit Behinderungen gewesen.

Aus der Beschreibung der Veranstaltung konnte man schon erkennen, daß gerade die Berücksichtigung der Barrierefreiheit im Design-Prozess zu oft zu spät ansetzt. Mein Themenvorschlag war darauf gerichtet, was bei Partizipation der Organisationen der Menschen mit Behinderungen besser oder weniger gut zu den Ergebnissen beiträgt (beitragen könnte, wenn man das überhaupt macht) - und zwar aus Sicht derer, die das Ergebnis letztlich größtenteils betrifft: „Many transport systems fall short in meeting the needs of people with disabilities, despite growing recognition of the right to mobility for all. Accessibility is too often addressed late in the design process, resulting in fragmented solutions that limit independence, safety, and participation in economic and social life. This Roundtable addresses that gap by focusing on case studies that demonstrate how various barriers can be overcome in practice“ (entspricht „Viele Verkehrssysteme erfüllen die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen nicht, obwohl das Recht auf Mobilität für alle zunehmend anerkannt wird. Barrierefreiheit wird im Planungsprozess zu oft erst spät berücksichtigt. Dies führt zu fragmentierten Lösungen, die Unabhängigkeit, Sicherheit und Teilhabe am wirtschaftlichen und sozialen Leben einschränken. Dieser Runde Tisch befasst sich mit dieser Lücke und konzentriert sich auf Fallstudien, die zeigen, wie verschiedene Barrieren in der Praxis überwunden werden können“). Ich bin gespannt, wie das im Roundtable Report dargestellt werden wird.

EU-Strategie

Betreffend der „EU-Strategie für die Rechte von Menschen mit Behinderungen nach 2024“ wurde inzwischen die „Entschließung des Europäischen Parlaments vom 27. November 2025 zu der EU-Strategie für die Rechte von Menschen mit Behinderungen nach 2024 (2025/2057(INI))“ angenommen. Wie zu erwarten stand, enthält die Entschließung ein paar Anmerkungen zu Erreichtem und eine Unmenge von Themen mit konkretem Handlungsbedarf.

Aus - ich nenne es mal unterschiedlichen - Motiven heraus wird in einigen Mitgliedstaaten gerne auf nationale Erfolge und angebliche Schwächen in den Regelungen Europas abgestellt; bis hin zum Bashing.

Nun, Menschen mit bestimmter politischen Ausrichtung in Sachen Inklusion und Barrierefreiheit werden nicht erfreut sein von Punkten (nur als Beispiele aufgeführt) wie denen unter 40. (die „Einführung klarer Sanktionen ... um sicherzustellen, dass die Rechte wirksam gewahrt werden“ - wie sieht das vergleichsweise im Referenten-Entwurf zur Änderung des BGG aus November 2025 aus?!), 41. („fordert die Kommission auf“, angesichts der Teilnahme an Verhandlungen zu globalen Leitlinien für die Barrierefreiheit im Luftfahrtsektor „...dem Thema der Rechte von Menschen mit Behinderungen und der Notwendigkeit einer universellen Barrierefreiheit aktiv und konsequent Vorrang einzuräumen, damit verbindliche Mindeststandards festgelegt werden“ - warum das wohl ausdrücklich aufgenommen wurde?!), 42. („fordert die Kommission nachdrücklich auf“, die TSI PRM „zu überarbeiten, um die bestehenden Herausforderungen und die Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen auf Reisen innerhalb der EU zu bewältigen und zu verhindern“) bis 43. (da geht es um die „rasche Einführung des Europäischen Behindertenausweises“; nicht die zögerliche (!), die Aufforderung an die Kommission „die Normen für die Barrierefreiheit öffentlicher Verkehrssysteme“ zu überarbeiten und zu harmonisieren und die „umfassende Beteiligung der Behindertenorganisationen“ auf diesem Gebiet). Es gibt 124 solcher Punkte, dazu als Nummer 125 den Auftrag, „diese Entschließung dem Rat und der Kommission zu übermitteln“. Wer mag, kann selbst in die Entschließung schauen, wer den Vorteil des Lesens nicht ausspielen will, hat keinen Vorteil von seinen Fähigkeiten. Wer Inklusion und Barrierefreiheit voran bringen will, hat einen Orientierungspunkt mehr.

Meine Sicht auf Barrierefreiheit

Es geht in dieser Website um das Thema Barrierefreiheit und das im Sinne der Behindertengleichstellungsgesetze (von Bund und Ländern) und der UN-Behindertenrechtskonvention bezogen auf den Öffentlichen Verkehr mit Eisenbahnen, U-Bahnen, Straßenbahnen und Bussen und was sonst noch dazu gezählt wird. Und zwar aus Sicht der Menschen mit eingeschränkter Mobilität wie denen, die in ihrem Alltag auf Rollstuhl oder Rollator angewiesen sind und weiterer Fahrgastgruppen.

Damit es für die betroffenen Menschen mit eingeschränkter Mobilität besser werden kann, versuchen verschiedene Organisationen der Menschen mit Behinderungen, auf unterschiedlichen Wegen die Bedarfe zu verdeutlichen.

Das Engagement der Mitstreiter ist dabei auf unterschiedliche Vorgehensweisen gerichtet. Manche basteln sich eine Website und stellen dort nach und nach Informationen ein. Ich zum Beispiel. Mehr über diese Website und mich finden Sie auf der Seite über...

Technische Normen und Barrierefreiheit

Gerade im Verkehrsbereich bekomme ich recht oft zu hören, es gäbe doch eine ganze Reihe von spezielleren Gesetzen für diesen Bereich und technische Normen, die Gültigkeit hätten und anzuwenden wären. Stimmt auch irgendwie. Allerdings ist die Auslegung, was denn in Sachen Barrierefreiheit zu tun ist - wie schon zuvor angesprochen - ebenfalls geregelt. Und das ist mit einigen dieser angesprochenen Vorgaben bisher keineswegs widerspruchsfrei geregelt und überdies ziemlich lückenhaft.

Wie ist die Sicht auf eine ganze Reihe dieser Regelungen (Normen, Standards) aus den zuvor genannten rechtlichen Normen? Da wäre die Besorgnis (rechtlicher Begriff) unter 19. d) (zur Barrierefreiheit) einschlägig. Danach ist der Ausschuß besorgt über „den Mangel an institutionalisierten Mechanismen für die Partizipation von Organisationen von Menschen mit Behinderungen an der Entwicklung von Standards für Barrierefreiheit“. Die passende Empfehlung unter 20. d) lautet dann auch „institutionalisierte Mechanismen für eine enge Konsultation und aktive Mitwirkung von Menschen mit Behinderungen über die sie repräsentierenden Organisationen in Verfahren zur Entwicklung von Standards für Barrierefreiheit einzuführen“.

Den Geltungsbereich erweitern und die Regelungen mittels enger Konsultation und aktiver Mitwirkung erarbeiten ist also ein Teil der diesbezüglichen Empfehlung (rechtlicher Begriff).

Von solchen Regelungen werden gerade im Verkehrssektor gleich eine ganze Reihe als unzureichend und gar fehlend benannt. Auch das steckt im genannten Dokument.

Zu nennen ist da 20. a) mit „die Gesetze auf Bundes- und Länderebene zu novellieren, um alle für die Allgemeinheit angebotenen Dienstleistungen öffentlicher und privater Stellen barrierefrei zu machen, und die Umsetzung der bestehenden Vorschriften zur Barrierefreiheit zu intensivieren“.

Da steht nichts von „beim Novellieren auf die lange Bank schieben“ oder gar davon, das Instrument der angemessenen Vorkehrungen ins Leere laufen zu lassen!

Zu nennen ist da auch 20. c) mit seinen zahlreichen Unterpunkten mit der Ausrichtung „gesetzliche Vorschriften zu erlassen und umzusetzen, die die autonome Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel durch Menschen mit Behinderungen gewährleisten... “. Aus den Unterpunkten ergibt sich, wie mit dem „autonomen Zugang zu Bahnhöfen und zum Bahnverkehr“ umzugehen ist, falls von der EU keine passende Regelung kommen sollte, die jedoch ausgeblieben ist.

Deutlich ist auch die Vorgabe „die bestehenden Anforderungen an die Barrierefreiheit des Schienennahverkehrs, des Bus-, Reisebus- und Oberleitungsbusverkehrs, von Seilbahnen und der Fahrgastschifffahrt zügig und mit einem klaren Plan umzusetzen sowie Vorschriften zur autonomen Nutzung des öffentlichen Verkehrs in diesen Bereichen zu erlassen und umzusetzen.

Ist denn Deutschland verpflichtet, das auch zu tun? Was der Ausschuß empfiehlt, um eine vertragskonformen Zustand zu erreichen, kann auch auf andere Art erreicht werden, wenn das Ergebnis dadurch gleichwertig erreicht wird. Nichts tun und damit nichts verändern führt jedenfalls erkennbar nicht zu einem gleichwertigen Ergebnis. Dann bleibt der Stand weiter bestehen, der als Besorgnis aufgeführt wurde und einen nicht vertragskonformen Zustand bezogen auf die UN-BRK bedeutet.

Das Europäische Parlament [...] 16. bedauert, dass Menschen mit Behinderungen und die sie vertretenden Organisationen aufgrund des derzeitigen Normungssystems nicht in angemessener Weise gleichberechtigt mit anderen Interessenträgern an den Tätigkeiten europäischer und einzelstaatlicher Normungsgremien mitwirken können, wenn Normen für die Barrierefreiheit ausgearbeitet werden; fordert daher eine bessere Vertretung innerhalb des Normungssystems und eine ausgewogene Vertretung unter den benannten Sachverständigen, damit mit den Rechtsvorschriften und Normen der Union im Bereich der Barrierefreiheit ein angemessenes Ergebnis erzielt wird“ steht unter anderem in einer Entschließung des Europäischen Parlaments vom 4. Oktober 2022. Kann man so gesehen davon ausgehen, daß die Normen zu Aspekten der Barrierefreiheit in sich schon in Ordnung sein werden, weil deren Entstehungsgang das sicher stellt? Ehrlich gesagt: eher nicht ruhigen Gewissens. Wer das lieber selbst nachlesen will: Entschließung des Europäischen Parlaments vom 4. Oktober 2022 zum Zentrum „AccessibleEU“ zur Unterstützung der Strategien für die Barrierefreiheit im Binnenmarkt der EU (2022/2013(INI)).

Übrigens: Das Europäische Parlament stellt darin auch fest (in 15.), „dass für die Umsetzung von Maßnahmen zur Barrierefreiheit ein hohes Maß an technischem Fachwissen erforderlich ist und dieses Thema nicht ausreichend in den Lehrplänen für Hochschulen berücksichtigt wird, was zu einem Mangel an qualifizierten Sachverständigen für Barrierefreiheit in allen Bereichen des öffentlichen Sektors und der Privatwirtschaft beiträgt.“ Es gibt also noch viele Baustellen, an denen noch gearbeitet werden muß und zu wenige dafür qualifizierte Leute. Es geht allerdings nicht nur um Hochschulen: einer meiner Mitstreiter in Sachen Barrierefreiheit kam bei einer Begehung gerade vorbei, als die Handwerker Teile in einer Toilette einbauten - und zwar entgegen der Pläne, die sie dafür erhalten hatten. Es entstand ein kleines Wortgefecht, bei dem der Inhaber der Baufirma erklärte, daß es das anders einbaut als vorgegeben, weil er das schon immer anderes gemacht hätte. Was für eine DIN? Nun, „dann hätte er es eben bisher immer falsch gemacht“ bekam er zu hören. Gut, daß der Auftraggeber auch zugegen war, sonst gäbe es wieder eine nicht barrierefreie Behinderten-Toilette mehr auf der Welt.

Wie ich das aktuell einschätze? Ich war im September 2025 als einer von etwa 14 Teilnehmern bei einer Experten vorbehaltenen Veranstaltung (Workshop, online), bei der es um Eigenschaften von Rampen und deren Merkmale im öffentlichen Wegenetz ging. Diese Forschung wird von Forschungsgeldern des Bundes finanziert. Das Ergebnis soll zur Flexibilisierung bestehender Regelungen in den einschlägigen Normen dienen. Einem zweiten Interessenten auf Seiten der Organisationen der Menschen mit Behinderungen wurde übrigens per E-Mail von der Projektleitung bedeutet, er könne wegen der hohen Anzahl an Teilnehmern nicht teilnehmen; wir sollten uns untereinander einigen. Noch sieht mir das nicht nach dem aus, wie sich der Ausschuß die Beteiligung der Organisationen der Menschen mit Behinderungen im Zusammenhang mit Regelungen zur Barrierefreiheit gedacht hat. Ihnen etwa?

Es würde zu weit führen, auf all die Regelungen an dieser Stelle einzugehen, die im Laufe der Jahrzehnte entstanden sind, ohne die Organisationen der Menschen mit Behinderungen entsprechend der Vorgaben aus der Konvention zu beteiligen. Übrigens gibt es auch einen Rundumschlag in den Abschließenden Bemerkungen, der sich auf bestehende Regelungen bezieht und empfiehlt „... entsprechend der früheren Empfehlung des Ausschusses die bestehenden Gesetze, Politikvorgaben und Verwaltungsverfahren systematisch auf ihre Übereinstimmung mit den Verpflichtungen des Vertragsstaats nach dem Übereinkommen zu überprüfen...“.

Bundestags-Drucksache 21/2340

Von Zeit zu Zeit kommen von Abgeordneten des Deutschen Bundestags oder Fraktionen Kleine Anfragen, zu denen dann je nach politischer Ausrichtung mehr oder weniger aussagekräftige Antworten der Bundesregierung in solchen Bundestags-Drucksachen veröffentlicht werden. Diesmal war das Thema „Aktueller Stand der Barrierefreiheit im öffentlichen Personennahverkehr und im Schienenpersonennahverkehr“. Also das Thema, um das es mir hier geht und bei dem Deutschland bei der Staatenprüfung zur UN-BRK in 2023 so schlecht abgeschnitten hat und bei dem Fortschritte seither keineswegs sichtbar geworden sind.

Die genannte Bundestags-Drucksache vom 21. Oktober 2025 finden Sie über diesen Link: dserver.bundestag.de/btd/21/023/2102340.pdf (PDF-Datei, deutsch, 8 Seiten). Kurz quer gelesen kann man die Antwort so zusammenfassen: nicht zuständig, keine Zeit für die Erstellung der Antwort, geht nicht wegen selbst geschaffener Regelung - genannt „Nationaler Umsetzungsplan“ (dessen Grundlage übrigens aktuell von der zuständigen EU-Behörde DG MOVE verändert wird), nichts separat erforderlich, nicht vorgesehen, keine Information vorhanden, Nein. Übrigens steckt das ansonsten oft genannte Argument kein Geld dafür derzeit nicht als Begründung drin. Das könnte an Sondervermögen liegen.

Falls Sie sich für Barrierefreiheit und Inklusion einsetzen: jetzt nur nicht ärgern. Weder sind die Fragesteller voll und ganz auf der Seite der Menschen mit Behinderungen noch ist das bei denen der Fall, die die Antwort abgeben. Wie das „Spielchen“ (das für die, die weiterhin vergebens auf mehr Barrierefreiheit warten, wahrlich kein Spielchen ist!) aber vermeiden soll, eine Politikverdrossenheit (Politikerverdrossenheit oder Parteienverdrossenheit) wachsen zu lassen, das werden beide Seiten nicht beantworten können. Für die ist das Alltagstrott und kein Thema, das sie verinnerlicht haben. What a pity, wie schade! In Gesprächen mit meinen Mitmenschen in Bus & Bahn auf Reisen, im Supermarkt auf Messen oder allgemein im Öffentlichen Raum liegen oft Welten zwischen dem, was sich meine Gesprächspartner von der Politik (Bund / Land / Kommune einschließlich des Zusammenspiels dazwischen!) erwarten und dem, was man aus dieser Antwort herauslesen kann.

Was soll man als Bürger davon halten?

Vielleicht ist auch Ihnen deutlich geworden, wieso „die weitgehend fehlende Barrierefreiheit im Öffentlichen Verkehr“ bei der Staatenprüfung hat auffallen müssen. Vielleicht ist es wenigstens einem Teil der Leser dieser Zeilen nicht völlig gleichgültig.

Nur als ein Beispiel hier ein Auszug aus einer Pressemeldung aus September 2025 von Bürgerbahn: „... Barrierefreiheit = Grundvoraussetzung, kein Luxus. Noch immer sind zahlreiche Stationen nicht vollständig barrierefrei. Fehlende Aufzüge, unzureichende Bahnsteighöhen und mangelhafte Orientierungshilfen erschweren den Zugang für mobilitätseingeschränkte Menschen, Familien und ältere Fahrgäste. Eine moderne Bahn muss für alle zugänglich sein - ohne Ausnahme“ und weiter als Appell an die Verantwortlichen „Es stellt sich die Frage, warum zentrale Anforderungen wie Barrierefreiheit, Lärmschutz und betriebliche Funktionalität nicht konsequent mitgedacht werden“.

Immerhin ist auf europäischer Ebene inzwischen die Überarbeitung einer für die bei der Eisenbahn wichtigen Regelungen angelaufen, bei der es schon vom Titel her um die PRM (im englischen Text persons with disabilities and persons with reduced mobility, ohne das die Abkürzung in der Norm definiert wäre) geht, die Menschen mit Behinderungen und eingeschränkter Mobilität. Mehr dazu finden Sie auf der Seite TSI PRM.

Behindertenbewegung, Behindertenrechte

Beide Begriffe sind in dem Wörterbuch unbekannt (gewesen), das in meinem Editor auf die richtige Schreibweise achten soll. Behindertenbeauftragte und behindertengerecht waren hingegen bekannt. Aktuell zeigt sich auch auf Wikipedia ein Artikel zu Behindertenrecht als Weiterleitung für Behindertenrechte, der mit einer Meldung {{Belege fehlen}} anfängt. Wenn man darüber nachdenkt: kein Wunder, die Sichtweisen auf das Thema sind arg unterschiedlich.

Nun ein Zitat von Ralph Milewski aus „Inklusion – die Geschichte des guten Gewissens“, veröffentlicht auf kobinet-nachrichten am 10. Oktober 2025 unter Meinungen: „Die wahre Emanzipation begann nicht in Deutschland, sondern in den USA. In den 1970er-Jahren formierte sich dort das Disability Rights Movement. Es verlangte keine Fürsorge, sondern Rechte. Es blockierte Busse, Universitäten, Behörden - und erzwang 1990 den Americans with Disabilities Act (ADA), ein einklagbares Gleichstellungsrecht.
Daraus erwuchs 2006 die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) - das erste globale Dokument, das Behinderung als Menschenrechtsfrage verstand. Doch als sie nach Europa kam, wurde sie abgeschwächt. Deutschland ratifizierte sie 2009, wobei viele ihrer Rechte bis heute nicht als unmittelbar einklagbare Ansprüche im deutschen Rechtssystem etabliert sind.
So wurde aus einem politischen Werkzeug ein moralisches Symbol - ein weiteres Kapitel der moralischen Nachsteuerung. Man übernahm den Diskurs, ohne die Konsequenzen.

Wenn also zu den Abschließenden Bemerkungen an Deutschland aus 2015 und 2023 keine Reaktion und kein Nachsteuern an Regelungen erfolgt, so ist das in sich schlüssig. Geltendes Recht und eine Sichtweise auf das Thema, die bei zu vielen tief verwurzelt ist, was soll da schon anderes passieren? Auch wenn vieles, wenn nicht gar alles, aus einem eingeräumten Recht nicht einklagbar ist, so ist es doch verkehrt, sich nicht trotzdem darauf zu berufen, selbst wenn das nicht mehr bewirkt, als ein leichtes Kratzen am ruhigen Gewissen der Zipfelbemützten, die nur den Trends hinterher laufen und es nicht (alle) so böse meinen, wie es sich schon ausgewirkt hat.

Das alles ist jedoch auch der Scherbensalat, der den jungen Menschen mit Behinderungen von wem auch immer (uns allen?!) überlassen wurde. Man mag sprachlos da stehen, doch wer sich nicht mehr äußert, der wird wohl kaum gehört werden. Es ist auch nicht verkehrt, der Einladung in einen Expertenworkshop zu folgen. Wie sonst sollte man Antworten wie diese bekommen, bei der es um die Teilnahme eines zweiten (!) Menschen aus Organisationen mit Behinderungen zum Thema mehr Flexibilität bei Neigungen auf Rampen in einem vom Bund finanzierten Forschungsprojekt ging (mehr Steigung, als nach den technischen Normen bisher zugelassen und weitere Eigenschaften der Rampen im Wegenetz wie Ruhe-Podeste): „Da wir zeitlich auch innerhalb der angesetzten zweieinhalb Stunden des Workshops sehr begrenzt sind, müssen wir die Zahl der Teilnehmenden begrenzen. Können Sie daher bitte untereinander ausmachen und mir im Anschluss mitteilen, wer von Ihnen beiden teilnehmen wird?“ Es ging um knapp über ein Dutzend Experten und einen, der das lediglich als „Betroffener“ kennt und trotzdem mitmachen durfte.

(bk, zuletzt geändert 2025-12-01)

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